Exklusive Leseprobe aus meinem Roman "Mission Genesis"


Da es auf Amazon vor dem Veröffentlichungsdatum leider keine Vorschau ("Blick ins Buch") gibt, stelle ich euch hier vorab den Prolog und das gesamte erste Kapitel meines Romans "Mission Genesis" zur Verfügung.

Hinweis: Der folgende Text ist unformatiert, im fertigen Buch wird er ein anderes Layout haben.


PROLOG

„Herzlichen Glückwunsch, Mister Wilson! Sie haben den Aufnahmetest bestanden. In Kürze werden Sie im Rahmen der Mission Genesis gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam zu dem Planeten Tellus-2 fliegen.“
„Wirklich?“ Jack spürte, wie sein Gesicht vor Aufregung rot anlief. Er hatte damit gerechnet, dass Officer Holmes, der Recruiting Manager des Projekts, ihm eine Absage erteilen würde. Aber nun saß er hier in Holmes‘ Büro in Washington und freute sich umso mehr über die gute Nachricht.
„Sie dürfen sich glücklich schätzen, dass unsere Wahl auf Sie gefallen ist. Mit 24 Jahren waren Sie der Jüngste von über 30 Kandidaten. Für die Rolle des Piloten hat es zwar nicht ganz gereicht, aber ich bin überzeugt, dass Sie einen hervorragenden Co-Piloten abgeben werden.“ Officer Holmes‘ Grinsen grub tiefe Falten in sein kantiges Antlitz.
Jack strahlte über das ganze Gesicht. „Ich werde mein Bestes geben.“
„Nun, aus Ihrer Reaktion lese ich bereits ab, dass Sie es kaum erwarten können, in den Weltraum aufzubrechen. Dennoch muss ich Ihnen der Form halber noch ein paar Fragen stellen.“
„Sehr gerne.“
„Haben Sie aus freien Stücken an dem Aufnahmetest teilgenommen?“
Seltsame Frage. Natürlich hatte Jack den Test freiwillig gemacht. Warum hätte ihn jemand dazu nötigen sollen? Er hatte keine Ahnung, worauf die Frage abzielte, traute sich aber nicht, nachzuhaken.
„Ich habe freiwillig daran teilgenommen.“
„Sind Sie bereit, Ihre Wahl anzunehmen und als Co-Pilot ein Teil des Expeditionsteams der Mission Genesis zu werden?“
„Natürlich. Das habe ich doch bereits signalisiert.“
„Ich weiß. Deshalb sagte ich doch, dass diese Fragen hier nur Formsache sind. Es reicht übrigens, wenn Sie klar und deutlich mit ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ antworten“, erwiderte der Mann. „Nächste Frage: Wurden Sie im Rahmen des Aufnahmetests darüber aufgeklärt, dass die Forschungsmission unter strengsten Sicherheits- und Geheimhaltungs­vorschriften stattfinden wird und deshalb die Unterzeichnung unserer Verschwiegenheits­erklärung eine zwingende Voraussetzung für Ihre Teilnahme ist?“
„Ja.“
„Ich lese Ihnen nun den genauen Wortlaut der Verschwiegen­heits­erklärung vor. Sind Sie dazu bereit?“ Officer Holmes sah seinen Gesprächspartner durchdringend an, als wolle er ihm bis auf den Grund seiner Seele blicken.
Jack nickte.
„Mit dieser Verschwiegenheitserklärung bestätige ich, Jack Wilson, dass ich zur Verschwiegenheit über meine Teilnahme an der Mission Genesis verpflichtet worden bin.
Insbesondere erkläre ich mich mit den folgenden Grundsätzen einverstanden und werde diese strikt befolgen.
Erstens. Ich wahre Dritten gegenüber absolutes Stillschweigen über meine Mitwirkung an dem Projekt und alles, was mir in diesem Zusammenhang anvertraut oder bekannt werden wird.
Zweitens. Ich unterlasse während der Dauer der Mission jeden Versuch der Kontaktaufnahme zu außenstehenden Personen, insbesondere zu Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten.
Drittens. Ich beschränke mich während der Mission auf diejenigen Aufgaben, die mir von der Central Intelligence and Security Agency –  im Folgenden kurz CISA genannt – übertragen wurden und vermeide jegliche Einmischung in Angelegenheiten oder Tätigkeiten, die nicht zu meinem Aufgabenfeld gehören.
Viertens. Ich leiste den Anweisungen der CISA stets Folge.
Ich wurde darüber informiert, dass eine Zuwiderhandlung gegen die oben genannten Prinzipien je nach Schwere des Vergehens als Vertragsbruch, Verrat oder Hochverrat betrachtet und mit Geldstrafe, Freiheitsentzug oder Todesstrafe“, – bei diesem Wort machte Officer Holmes eine bedeutungsvolle Pause –, „geahndet wird.“
Jack schluckte.
Dass es sich bei dieser Mission nicht um eine x-beliebige Weltraumexpedition handelte, sondern um ein wichtiges, streng geheimes Projekt der CISA, war ihm klar gewesen. Dennoch hatte er nicht damit gerechnet, dass die Vorgaben für die Teilnehmer dermaßen streng waren.
Unter normalen Umständen hätte er dankend abgelehnt und schleunigst das Weite gesucht. Doch die Umstände waren nicht normal: Dies hier war die Chance seines Lebens.
Zu seinem neunten Geburtstag hatte ihm die Leiterin des Waisenhauses ein digitales Teleskop geschenkt. Stundenlang hatte er damit jede Nacht die Weiten des Weltalls erkundet, in der Hoffnung, irgendwo dort draußen seine Eltern wiederzufinden. Mit den Jahren hatte er begriffen, dass sich dieser Traum niemals realisieren würde, doch seine Faszination für die Astronomie war geblieben und wandelte sich in den sehnlichen Wunsch, einmal selbst ins All aufzubrechen und Raumschiffpilot zu werden. Dieser Wunsch war der Antrieb gewesen, der ihn die ganze Zeit am Leben gehalten und ihm über seine dunkelsten Stunden hinweggeholfen hatte. Nun war dessen Erfüllung endlich in greifbare Nähe gerückt. Wie dumm müsste Jack sein, dass er diese Gelegenheit ausschlug? Garantiert würde er nie wieder solch eine Chance bekommen! 
„Wenn Sie wollen, können Sie das Dokument noch einmal selbst in Ruhe durchlesen, bevor Sie unterschreiben“, meinte Mister Holmes freundlich.
Doch Jack hatte seinen Entschluss gefasst. Er hatte nichts und niemanden zu verlieren. Er konnte nur gewinnen.
„Nicht notwendig, Mister. Ich unterzeichne gleich.“HhERZ

KAPITEL 1

Mira

Der Fremde saß mit angezogenen Beinen an einen Felsen gelehnt. Sein Profil zeichnete sich als schwarzer Umriss im Gegenlicht der Sonne ab.
Vorsichtig pirschte Mira sich an ihn heran, um besser erkennen zu können, um wen es sich handelte. Je näher sie kam, desto weniger traute sie ihren Augen. Der Unbekannte sah anders aus als sie. Völlig anders.
Eine lockere, zweiteilige Hülle bedeckte den Großteil seiner bleichen Haut. Den oberen Teil seines Kopfes umkränzte eine Art welliges Nest, das in der Sonne schimmerte. Die Nase des Fremden war länger als Miras, seine Augen dafür etwas kleiner. Oberhalb der Augen verlief ein Bogen, der an eine zarte Mondsichel erinnerte.
Sie unterdrückte einen Schrei der Überraschung. Der Unbekannte konnte unmöglich zu ihrem Volk gehören!
Er lehnte nun auch seinen Kopf an den Stein und schloss die Augen, wirkte dabei ruhig und entspannt.  
Miras Herz schlug laut. Minutenlang starrte sie den Fremden an, konnte den Blick einfach nicht abwenden. Auf eine unergründliche Weise faszinierte er sie. Wer war er? Wo kam er her?
Plötzlich durchfuhr sie ein Gedanke: Der attraktive Fremde konnte nur ihr Schutzbegleiter sein! Sie erinnerte sich an eine Geschichte, die ihre Mutter ihr vor vielen Jahren erzählt hatte. Sie handelte von ihrem Schutzbegleiter, der ihr im Verborgenen stets zur Seite stehe und auf sie aufpasse. Eine persönliche Begegnung mit ihm verheiße besonderes Glück in der Zukunft. Sie dürfe ihn aber nicht ansprechen oder jemandem von seinem Erscheinen erzählen, weil sie sonst riskiere, ihr Glück wieder zu verlieren.
Mira glaubte nicht an Märchen, doch vielleicht hatte die Geschichte einen wahren Kern? Um sicherzugehen, beschloss sie, die Ratschläge ihrer Mutter zu befolgen.
Der Schutzbegleiter hielt weiterhin die Augen geschlossen und rührte sich nicht von der Stelle. Er schien eingeschlafen zu sein. Mira wollte diese Gelegenheit nutzen und sich weiter heranschleichen, um ihn aus nächster Nähe betrachten zu können. Mit leisen Schritten lief sie auf die nächste Steinformation zu.
Just in diesem Moment öffnete der Unbekannte seine Augen, hob den Kopf und sah genau in ihre Richtung. Mira erstarrte mitten im Lauf. Der Blick des Fremden brannte wie Feuer auf ihrer Haut. Ein paar Sekunden lang musterte er sie, bevor er den Kopf schüttelte und den Mund öffnete, als wolle er ihr etwas zurufen.
Sie musste unbedingt vermeiden, dass er sie ansprach. Sie durfte ihn doch nicht in ein Gespräch verwickeln! Rasch wandte sie sich ab und stürzte Hals über Kopf davon. Im Zickzack rannte sie zwischen den Steinen hindurch, ohne sich umzusehen. Erst nach einigen Minuten wagte sie einen Blick zurück. Der Fremde war nirgendwo zu sehen.
Mira blieb kurz stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Dann setzte sie hastig ihren Weg nach Hause fort. Sie musste sich beeilen: Am Horizont zogen dunkle Wolken auf, die schnell näherkamen und anfingen, sich zu hohen Türmen aufzubauschen.

Jack

Nach dem Zwischenfall mit dem Alienmädchen trat Jack den Rückweg zum Solarmobil an. Er traf Damian, den Kommandanten des Raumschiffs Transcendia, nicht wie erwartet an und beschloss, auf ihn zu warten. Er ließ den vergangenen Nachmittag, der so harmlos angefangen hatte, noch einmal Revue passieren.
Gemeinsam mit Damian war Jack mit dem Solarmobil auf das Plateau geflogen, das sich oberhalb des Tals befand, in dem die Transcendia stationiert war. 
Oben angekommen, trennten sich die Wege der beiden: Während der Kommandant am Rand des Steilhangs entlangging und die Aussicht auf das Tal genoss, durchwanderte Jack die Steinwüste, die sich an den Steilhang anschloss. An einem gemütlichen Platz setzte er sich hin und ließ die Landschaft auf sich wirken. Er fühlte sich in eine bunte Version des Goblin Valleys versetzt, das er als Kind zusammen mit seinen Eltern besichtigt hatte. Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit erwachten in ihm. Eine Zeit, als seine Welt noch in Ordnung war. Doch diese Zeit war unwiederbringlich verloren. Während seiner Träumerei musste Jack eingenickt sein. Als er die Augen wieder öffnete, fühlte er sich beobachtet. Und tatsächlich: In ein paar Metern Entfernung schlich ein Alien umher und starrte ihn an.
Das nackte, vollkommen haarlose Wesen musste weiblich sein, denn seine spitzen, festen Brüste fielen Jack sofort ins Auge. Abgesehen von der goldenen Hautfarbe sah das Alienmädchen erstaunlich menschlich aus, ganz anders als die unförmigen Gestalten, die in den üblichen Horrorfilmen die Menschheit bedrohten.
Jack musste es erschreckt haben, denn es suchte das Weite. Er konnte es ihm nicht verdenken. Wahrscheinlich hätte er genauso reagiert, wenn er auf der Erde plötzlich einem Außerirdischen gegenübergestanden wäre…

Ein Schuss riss ihn aus seinen Gedanken. Was war passiert? Befand Damian sich in Schwierigkeiten?
So schnell er konnte, lief Jack am Rand des Steilhangs entlang. Im Näherkommen entdeckte er zwei Gestalten dicht an der Abbruchkante; die eine stand aufrecht, die andere lag auf dem Boden.
Die Stehende entpuppte sich als Damian, der eine Pistole in der Hand hielt und seinen linken Fuß auf das vor ihm liegende männliche Alien gesetzt hatte, als wäre es eine Jagdtrophäe. Das Opfer war tot. Blut quoll aus der Schusswunde in seiner Brust. Im Vergleich zu dem stämmigen Kommandanten wirkte der Getötete fragil und filigran wie eine Porzellanfigur.
Die Kaltblütigkeit, die sich in Damians Augen widerspiegelte, verschlug Jack die Sprache. Übelkeit stieg in ihm hoch. Er musste sich beherrschen, um sich nicht zu übergeben.
Damian nahm seinen Fuß von dem Toten herunter und grinste süffisant. „Fass mal mit an. Wir müssen ihn da runterwerfen.“
Jack rührte sich nicht. Er konnte immer noch nicht fassen, was der Kommandant getan hatte.
„Jetzt komm schon“, drängte dieser. „Ins Solarmobil passt er nicht rein und wir sollten so bald wie möglich aufbrechen. Schau mal zum Himmel.“
Gewitterwolken hatten den Horizont in eine finstere Front verwandelt.
„Warum lassen wir ihn nicht einfach hier liegen?“, fragte Jack, der endlich seine Sprache wiedergefunden hatte.
„Hier oben scheint Publikumsverkehr zu herrschen. Da unten in dem unbewohnten Tal wird ihn so schnell niemand finden. Wir wollen ja nicht unnötig die Pferde scheu machen. So, und jetzt ab die Post mit ihm.“
Damian packte den goldfarbenen Leichnam an den Schultern und zog ihn bis zur Felskante vor. Jack hob die Füße des Toten hoch. Gemeinsam warfen sie ihn mit Schwung in den Abgrund. Bei dem dumpfen Geräusch, das der Körper beim Aufprall verursachte, zuckte Jack zusammen.
„Ich kann einfach nicht glauben, dass du den Armen erschossen hast. Was hast du dir bloß dabei gedacht?“
„Jetzt reg dich mal ab“, entgegnete Damian. „War doch nur ein Alien.“
„Hat es dich bedroht oder angegriffen?“
„Nein.“
„Warum hast du es dann getötet?“
„Weil ich es konnte.“    

Bodo

Wo blieb Mira nur? Sie müsste längst zurück sein – laut ihren Eltern hatte sie lediglich einen Spaziergang unternehmen wollen. Was dachte sie sich dabei, bei dieser Wetterlage so lange unterwegs zu sein? Hoffentlich würde sie es noch rechtzeitig vor Ausbruch des Gewitters nach Hause schaffen.
Bodo verfluchte sich, dass er nicht früher zu der Höhle gekommen war, in der Mira mit ihrer Familie wohnte. Dann hätte er sie wahrscheinlich noch angetroffen und sie bei ihrem Spaziergang begleiten können. Es wäre DIE Gelegenheit gewesen, ihr endlich seine Liebe zu gestehen, die er schon seit Jahren für sie empfand. Mit ihrer grazilen Figur, ihrem hübschen Gesicht und ihren großen, strahlenden Augen war sie eindeutig die Schönste von allen. Bodo wollte sie für sich haben, sie besitzen, ihr Mann sein.
Argwöhnisch beäugte er die finsteren Wolken, die sich am Himmel türmten. Wenn das Gewitter losbrach, würde er zum Schutz vor den Blitzen in seine Höhle zurückkehren müssen – wieder eine ungenutzte Chance, ein sinnlos verstrichener Tag ohne Mira an seiner Seite.
Doch das Glück meinte es diesmal gut mit ihm: In der Ferne tauchte seine Angebetete zwischen den Bäumen auf, verließ den Wald und eilte auf ihre Behausung zu.
Bodo hielt es nicht länger auf den Beinen. Freudestrahlend rannte er ihr entgegen.
„Hallo Mira, endlich bist du zurück! Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht!“ 
Sie wurde langsamer und blieb schließlich schnaufend stehen, als er bei ihr angelangt war. Sie zog die Stirn in Falten und kniff die Augen zusammen. „Warum? Hast du auf mich gewartet?“
„Ja. Ich wollte…“ Bodo biss sich auf die Zunge. Sein Mund war wie zugeschnürt. Lag es daran, dass seine Angebetete ihn nicht so freundlich begrüßt hatte wie sonst? „Ich wollte einfach sehen, ob es dir gut geht“, redete er sich heraus und bereute im gleichen Moment, dass er nicht mehr Mut aufgebracht hatte.
Mira blickte zur Seite. „Es geht mir gut“, murmelte sie.
„Wo warst du denn? Was hast du so lange gemacht?“
„War nur spazieren.“
Bodo schluckte. Er kannte Mira lange genug, um zu wissen, dass ihr Verhalten abnorm war. Was war los mit ihr? Warum war sie so kurz angebunden und sah ihm nicht einmal in die Augen, wenn sie mit ihm sprach?
„Stimmt etwas nicht?“, fragte er.
„Das Gewitter wird gleich losgehen, ich habe schon einen Regentropfen gespürt.“ Mira wandte sich ihm wieder zu und sah ihn eindringlich, fast flehend an. „Du solltest nach Hause gehen, Bodo.“
„Ich komme morgen Nachmittag wieder, okay? Wenn das Wetter schön ist, können wir ja gemeinsam einen Spaziergang machen. Vielleicht magst du mir dann von deinen heutigen Erlebnissen erzählen.“
Mira riss die Augen auf. Sie wirkte gehetzt, ertappt. Irgendetwas verheimlichte sie vor ihm. Was, das würde er schon noch herausfinden. Morgen.

Mira

Mira wälzte sich auf den Blättern ihres Schlafplatzes hin und her, während sie dem Prasseln des Regens und dem Heulen des Sturms draußen lauschte. Ihre Gedanken kreisten um die beiden Begegnungen, die den Tag geprägt hatten.
Sie war froh, dass der Regen ihr Zusammentreffen mit Bodo beendet hatte. Das gleichaltrige Clanmitglied verhielt sich zwar immer freundlich, hatte aber einen verschlagenen Blick und strahlte etwas Düsteres aus, das sie nicht näher erklären konnte. Jedes Mal, wenn Bodo sie ansah, lief ihr ein Schauer über den Rücken. Und das passierte in letzter Zeit immer häufiger, denn er schien sie geradezu zu verfolgen. Warum hatte er ausgerechnet sie ins Visier genommen? Er hatte sich doch hoffentlich nicht in sie verliebt?! Obwohl er optisch durchaus attraktiv war, fand Mira ihn ganz und gar nicht anziehend.
Anders verhielt es sich bei dem rätselhaften Unbekannten, den sie heute in der Steinwüste entdeckt hatte. War er tatsächlich ihr Schutzbegleiter? Und wenn nicht, wer war er dann? Die Begegnung mit ihm hatte etwas in ihr zum Klingen gebracht, sie in Aufruhr versetzt. Sie konnte sich dieses Gefühl nicht erklären, wusste nur, dass sie es nie zuvor verspürt hatte. Würde sie ihn jemals wiedersehen? 
Ein lauter Schrei ihrer Mutter riss sie aus ihren Gedanken. „Mira! Schläfst du schon? Bitte komm kurz zu uns, Sinia braucht dich!“
Verwirrt schälte sie sich aus ihrem Schlaflager und trottete zum Hauptraum der Höhle. Warum stattete ihre Nachbarin Sinia ihnen zu so später Stunde einen Besuch ab?
Mira erschrak, als sie die Frau erblickte, die vor Nässe triefend dastand und von heftigen Schluchzern geschüttelt wurde.
„Taro hat heute seine Schwester besucht, die bei einem weiter entfernten Clan lebt. Er wollte vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück sein, doch bis jetzt ist er nicht nach Hause gekommen“, erklärte Miras Vater die Situation.
Sinia sah sie besorgt an. „Bist du meinem Mann unterwegs begegnet?“
Mira schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, aber ich habe ihn nicht gesehen.“
Die Nachbarin blickte zu Boden, während sich in ihren Augenwinkeln Tränen sammelten und über ihre Wange rollten. „Ich habe bereits überall im Clan nach ihm gefragt, doch keiner weiß etwas. Hoffentlich ist Taro bei dem Unwetter nichts passiert. Ich mache mir solche Sorgen um ihn!“
Miras Mutter legte den Arm um die Frau. „Beruhige dich, Sinia. Dein Mann taucht bestimmt bald wieder auf. Vielleicht ist er wegen des aufziehenden Gewitters über Nacht bei seiner Schwester geblieben. Du wirst sehen, morgen kommt er wohlbehalten wieder zurück.“
„Meinst du? Vielleicht hast du Recht. Ich sollte jetzt in meine Höhle gehen und versuchen, zu schlafen.“ Sinia deutete ein Lächeln an, doch ihre Augen verrieten, dass sie immer noch voller Sorge um ihren Mann war.
„Wenn du willst, kannst du heute bei uns übernachten, dann fühlst du dich nicht so allein“, schlug Miras Mutter vor.
„Das ist lieb, aber ich komme schon zurecht. Ich gehe jetzt.“ Sinia ging mit hängenden Schultern hinaus und hinterließ ein Gedankenchaos in Miras Kopf. Warum war Taro nicht nach Hause gekommen? War ihm unterwegs etwas passiert? Auf dem Rückweg von seiner Schwester musste er die Steinwüste durchqueren. War er dort ebenfalls dem Unbekannten begegnet? Hatte dieser etwas mit seinem Verschwinden zu tun?
Fragen über Fragen, auf die sie an diesem Abend keine Antwort finden würde. Doch am nächsten Tag wollte sie der Sache näher auf den Grund gehen und Nachforschungen anstellen. Nicht nur ihre Neugier verlangte Befriedigung, sondern auch etwas, das sie sich selbst kaum eingestehen wollte: der brennende Wunsch, den Fremden noch einmal zu sehen.  

Am nächsten Tag war der Himmel wieder klar und die Sonne schien strahlend vom Himmel. Um ein erneutes Zusammentreffen mit Bodo zu vermeiden, verließ Mira bereits nach dem Frühstück ihre Höhle.
Ihr Weg führte sie zielstrebig zur Steinwüste. Dort begann sie, akribisch die weitläufige Landschaft zu durchforsten. Sie suchte und suchte, doch ohne Erfolg.
Nach mehreren Stunden gab sie erschöpft auf. Ihr war schwindlig vom vielen Herumirren in der prallen Sonne. Durst und Hunger plagten sie, denn vor lauter Eile hatte sie vergessen, Proviant von zuhause mitzunehmen.
Sie legte sich auf den Boden und schloss resigniert die Augen. Wie dumm von ihr zu glauben, sie könne den Unbekannten an derselben Stelle wieder treffen, an der sie ihm gestern begegnet war! Er konnte überall oder auch einfach wieder verschwunden sein. Schutzbegleiter waren geistige Wesen und normalerweise nicht sichtbar. Sie würde ihn wohl nie wiedersehen. Und Taro war mittlerweile bestimmt wohlbehalten wieder zuhause angekommen und lag in Sinias Armen, während Mira hier in der Sonne schmorte.
Ein paar Minuten blieb sie noch liegen, um wieder zu Kräften zu kommen, dann trat sie den Heimweg an. Mühsam quälte sie sich vorwärts, ohne nach rechts und links zu schauen. Sie gierte nur noch nach etwas zu trinken und zu essen, doch das würde sie in dieser kargen Steinwüste bestimmt nicht finden.
Doch halt! Was war das? Aus dem Augenwinkel bemerkte sie in einiger Entfernung zwischen den Steinen eine Bewegung. Vielleicht war das ihr Schutzbegleiter! Mira schöpfte neuen Mut und rannte zu der Stelle, wo sie die Bewegung wahrgenommen hatte. Sie hielt vor Spannung den Atem an – und stieß ihn kurz darauf hörbar wieder aus. Sie hatte sich von einem Streifentrippler täuschen lassen! Das bunt gestreifte Tier ergriff schnatternd die Flucht.
Mira blieb desillusioniert stehen. Heute war einfach nicht ihr Tag. Nun war sie wegen des Streifentripplers auch noch bis an den äußersten Rand der Steinwüste gelaufen. Hier ging das sandige Feld über in ein Felsplateau, das nach wenigen Metern an einer steil abfallenden Wand endete. Unterhalb dieser befand sich das grüne Tal – ein sagenumwobener Ort, der zahlreichen seltenen Tierarten einen Lebensraum bot und unter Schutz stand.
Neugierig lugte Mira über die Felskante und blickte in den Abgrund.
Da sah sie ihn. Er lag dort unten, ein kleiner Punkt, der sich deutlich von der ihn umgebenden grünen Farbe des Grases abhob. Ein toter Körper. Taro?
Tränen stiegen ihr in die Augen. Ihre Suche hatte ein bitteres Ende gefunden. Doch so schnell wollte sie nicht aufgeben. Vielleicht hatte der Gestürzte sich nur verletzt und lebte noch. Sie wischte die Tränen wieder weg. Sie wollte zu ihm hinuntergehen und nachsehen, was ihm passiert war.
Einfach würde der Abstieg nicht werden. Sie wusste von ihrem Vater, dass von dieser Seite aus nur ein einziger Weg ins Tal führte, ein schmaler Steig, den seit etlichen Jahrzehnten niemand mehr begangen hatte.
Mira ging am Rand des Felsplateaus entlang, bis sie den Einstiegspunkt des Pfades gefunden hatte. Das erste Teilstück des Weges war relativ flach und breiter als erwartet. Wenn es so weiterging, würde sie gut vorankommen.
Doch sie hatte sich zu früh gefreut: Mit jeder Serpentine wurde der Steig abschüssiger und schmaler. Vor dem letzten Teilstück des Weges hätte sie am liebsten wieder kehrtgemacht. Er war mit frischem Geröll bedeckt, das von dem zurückliegenden Regen teilweise noch feucht war. Bei dem nächtlichen Unwetter musste der Steig unterspült worden und dabei teilweise weggebrochen sein.
Mira biss die Zähne zusammen. Sie hatte es schon so weit geschafft, nun wollte sie sich nicht geschlagen geben. Im Schneckentempo kämpfte sie sich vorwärts und versuchte, nicht auf den glitschigen Steinen auszurutschen. Wann immer es ging, klammerte sie sich an den Grasbüscheln fest, die aus der Felswand sprossen.
Nach wenigen Schritten war sie an einer Stelle angelangt, wo der Pfad besonders stark in Mitleidenschaft gezogen worden war. Mit äußerster Konzentration nahm sie den Gang über losgelöste Steine in Angriff und stellte erleichtert fest, dass sie doch festen Halt boten.
Als Mira den vorletzten Stein der Reihe betreten wollte, kam dieser gefährlich ins Wackeln und sackte unter ihr weg. Instinktiv griff sie nach dem Grasbüschel an dem Felsen über ihr, doch dieses löste sich unter ihrem Gewicht aus seiner Verankerung. Sie verlor den Boden unter den Füßen und kippte seitlich weg. Ungebremst stürzte sie nach unten und kniff dabei in Erwartung des nahen Todes die Augen zusammen.
Der Aufprall tat weh, war aber nicht so hart wie befürchtet. Mira öffnete die Augen wieder und blinzelte. Sie lebte. Ihr Schutzbegleiter hatte ihr beigestanden! Ein breiter Busch, der aus der nun dichter bewachsenen Felswand wuchs, hatte ihren Absturz aufgehalten. Sie hing darin fest wie ein Insekt im Spinnennetz. Ihr Rücken schmerzte. Immerhin schien sie sich nichts gebrochen zu haben, denn sie konnte alle ihre Glieder bewegen. Mühsam gelang es ihr, sich umzudrehen und zu schauen, wie weit sie noch vom Talgrund entfernt war. Ein Sprung aus dieser Höhe kam nicht in Frage. Aber eine Kehre des Pfades, auf dem sie gekommen war, befand sich ein paar Meter schräg unterhalb des Busches. Wenn sie es bis dorthin schaffte, wäre sie sicher.
Mira hangelte sie sich auf dem Bauch rutschend den Abhang hinunter und hielt sich dabei an allen Gewächsen fest, die sie zu fassen bekam. Mit letzter Kraft wälzte sie sich auf den Steig hinüber und ruhte sich dort aus.
Ihr Atem ging schwer. Ihre Arme, ihr Bauch und ihre Knie waren zerkratzt und zerschunden von den überwundenen Strapazen. Den linken Fuß hatte sie sich wohl verstaucht, denn sie konnte nur unter starken Schmerzen auftreten. Die letzten Serpentinen legte sie auf allen Vieren kriechend zurück. Sie wollte kein Sturzrisiko mehr eingehen.
Endlich hatte sie es geschafft! Unten angekommen, empfing sie das Tal mit seinem saftigen Grün der Gräser und Bäume, die in der Abendsonne leuchteten. Doch genießen konnte Mira den wunderbaren Anblick nicht. Ein mulmiges Gefühl stieg in ihr hoch, während sie in nördlicher Richtung an der Felswand entlanghumpelte. Was würde sie in Kürze erwarten, an der Stelle, an der sie den reglosen Körper gesehen hatte? Hoffentlich war Taro noch am Leben, hoffentlich kam sie nicht zu spät! Der Abstieg hatte sie viel Zeit gekostet.  

Der Körper lag mit dem Bauch nach unten, die Glieder in einem seltsamen Winkel abgespreizt. Mira fasste ihn an der Schulter, drehte ihn vorsichtig um und stieß einen spitzen Schrei aus.  
Taro blickte sie aus leeren Augen an. Keine Frage, er war tot. Offensichtlich war er von oben hinuntergefallen und hatte sich beim Aufprall den Kopf an einem Stein zerschmettert. Obwohl Mira sich bereits innerlich auf das Schlimmste vorbereitet hatte, überwältigte sie der Anblick des Leichnams. Sie beugte sich über ihn, schloss seine Augen und dachte dabei an Sinia. Wie sollte sie ihr den Tod ihres geliebten Mannes erklären? Dicke Tränen flossen Mira über die Wangen und landeten auf Taros kaltem Körper.  
Obwohl die Tränen ihre Sicht trübten, erschrak sie, als sie das tote Clanmitglied näher betrachtete. Etwas störte die Optik. Taros Brust war verwundet. Zwei tiefe Löcher befanden sich dort, aus denen der Lebenssaft des Mannes herausgeflossen war und sich dunkel verfärbt hatte. Mira starrte irritiert die Löcher an. Was war mit ihrem Nachbarn passiert? Hatte ihn ein Tier angefallen? Aber sie kannte kein Tier, das solch spitze Zähne hatte.
Heute blieb ihr keine Zeit mehr, Taros rätselhaften Tod zu ergründen. Die Sonne war bereits hinter den Bergen verschwunden. Mira würde im Tal übernachten müssen. Morgen würde sie einen anderen Weg suchen, der dort herausführte. Auf keinen Fall wollte sie den Pfad des Grauens erneut betreten, der sie beinahe das Leben gekostet hätte.

Susan

Verschlafen trat Susan aus dem Raumschiff heraus, streckte sich, schloss die Augen und atmete tief ein. Frische Luft strömte durch ihre Lungen, Luft, die so rein war, dass sie ihren Körper und Geist augenblicklich weckte und mit neuer Energie versorgte.
Beim ersten Mal war ihr dieses Gefühl völlig fremd gewesen. Aus ihrer Heimatstadt London kannte sie nur die zähe Schwere des Smogs, der fast pausenlos über der Stadt hing und sie in eine wabernde Nebelglocke hüllte.
Wie sehr freute sich Susan auf den bevorstehenden Ausflug in den Wald! Der neue Planet war für sie eine Fundgrube, eine Quelle unerschöpflicher Möglichkeiten. Jedes Mal wieder überwältigte sie der Anblick der unberührten Natur des Tals, in dem das Raumschiff gelandet war. Es war ihr persönliches Paradies, aus dem sie mit einem Koffer voller wertvoller Entdeckungen auf die Erde zurückkehren würde.
„Guten Morgen, Susan. So früh schon auf den Beinen? Gehst du wieder auf Entdeckungstour?“
Sie zuckte erschrocken zusammen, drehte sich um und blickte direkt in Vincents eindrucksvolle Augen.
„Ja“, antwortete sie. „Gestern habe ich sogar auf der Wiese neben dem Raumschiff eine Menge vielver­sprechender Kräuter gefunden. Heute will ich mal sehen, was der Wald dort drüben für mich bereithält.“
Als medizinische Botanikerin hatte Susan sich auf die Erforschung von Heilpflanzen spezialisiert, deren genetische Struktur sie entschlüsselte, um die wirksamen Bestandteile identifizieren zu können. Anschließend separierte sie diese und bereitete sie so auf, dass sie problemlos in Medikamenten verarbeitet werden konnten.
Vincent hingegen war ein international anerkannter Genforscher, dessen Arbeit vor ein paar Jahren mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden war – ein Verdienst, der Susan insgeheim mit Neid erfüllte.
Er war aber auch eine äußerst attraktive Erscheinung: Mit seinem ebenmäßigen Gesicht und den glatten schwarzen Haaren, die im perfekten Kontrast zum Grün seiner Augen standen, hätte er jederzeit als Model arbeiten können. Er war zwar schon fast 40 Jahre alt, sah aber wesentlich jünger aus.
 „Du und deine Pflanzen“, meinte Vincent grinsend. „Im Mittelalter wärst du bestimmt der Hexerei bezichtigt und verbrannt worden.“
Susan lachte. „Ich bin froh, dass ich damals nicht gelebt habe. Auch wenn ich mich bei der Suche nach neuen Heilpflanzen bestimmt leichter getan hätte als heute.“
Wie oft hatte sie sich über die eingeschränkte Artenvielfalt auf der Erde geärgert, die ihr immer weniger Raum für Entdeckungen bot. Viele der Pflanzen, die Susan aus Büchern vergangener Jahrhunderte oder aus Überlieferungen von Einheimischen kannte, waren inzwischen ausgestorben. Ein besonders trauriges Bild boten die Regenwälder, die zu einem Flickenteppich jämmerlich vor sich hinvegetierender Waldstücke verkommen oder gänzlich zerstört und durch riesige Plantagen ersetzt worden waren. Für Susan gab es dort kaum etwas zu holen. Wenn sie daran dachte, wieviel Potenzial für ihre Forschungen im Laufe der letzten anderthalb Jahrhunderte verschenkt worden war, stiegen ihr jedes Mal Tränen in die Augen.
„So schwer wie auf der Erde wirst du dich hier ganz sicher nicht tun: üppiges Grün, wohin das Auge auch reicht.“ Vincent deutete mit einer weit ausholenden Geste auf die Umgebung, um das Gesagte zu unterstreichen.
„So musste die Erde vor der Entstehung des Menschen ausgesehen haben. So stelle ich mir das Paradies vor“, sagte Susan verträumt.
„Siehst du, nun brauchst du dir das Paradies nicht mehr nur vorzustellen, du bist mittendrin.“
„Habt ihr eigentlich gewusst, dass dieser Planet hier so wunderschön ist? Habt ihr die Mission deshalb ‚Genesis‘ genannt?“
„Das war sicher einer der Gründe.“
„Und die anderen?“
Vincent wandte seinen Blick ab. Auf einmal wirkte er verschlossen. Welche Laus war ihm über die Leber gelaufen?
„Die anderen Gründe meine ich“, wiederholte Susan, als er ihre Frage nicht beantwortete.
„Das tut jetzt nichts zur Sache. Außerdem habe ich keine Zeit mehr, muss noch etwas erledigen.“ Ohne sich zu verabschieden, wandte er sich ab und ging weg.
Susan sah ihrem Kollegen kopfschüttelnd nach, als er die große Wiese überquerte und auf die Steilwand zustrebte, die im Hintergrund aufragte. Sie wusste nicht, was sie falsch gemacht hatte. Warum war ihm ihre Frage unangenehm gewesen? Hatte die Mission noch andere Ziele als die wissenschaftliche Erforschung des neuen Planeten?

Mira

Mira nieste, ein Sonnenstrahl hatte sie in der Nase gekitzelt. Sie musste lange geschlafen haben – die Sonne schien bereits ins Tal. Geblendet hielt sich Mira die Hände vor die Augen und versuchte, im grellen Morgenlicht etwas zu erkennen.
Ein paar Meter über ihr schwebte ein kleines dunkles Tier, das mit seinen winzigen Flügeln so schnell flatterte, dass ihr vom Zusehen ganz schwindlig wurde. Leise summend verharrte es in der Luft, als wolle es Mira genau betrachten. Kurze Zeit später jedoch schien das Tier das Interesse zu verlieren, es drehte seitlich ab und flog rasch von dannen.
Mira schüttelte den Kopf. Welche seltsamen Geschöpfe es doch in diesem Tal gab! Sie musste ihren Eltern unbedingt von dem geflügelten Tierchen erzählen, wenn sie wieder zuhause war… Falls sie es überhaupt bis dorthin schaffte. Die Schmerzen in ihrem linken Fuß waren über Nacht etwas zurückgegangen, aber nach wie vor konnte sie ihn nicht voll belasten. Sie würde sich humpelnd fortbewegen müssen.
Auf der anderen Seite grenzte keine Steilwand an das Tal an, sondern nur eine mäßig hohe Hügelgruppe. Es wäre wohl am einfachsten, wenn sie das Tal durchqueren und auf einen der Hügel hinaufsteigen würde. Von dort musste sie dann irgendwie den Weg nach Hause finden. Wenn sie Glück hätte, würde sie jenseits der Hügel auf einen anderen Clan treffen, wo sie Hilfe suchen könnte.
In ihrem körperlichen Zustand würde sie für die Strecke mehrere Tage benötigen, dennoch musste sie es versuchen und dem einsamen Tal entfliehen. Sie vermisste die liebevolle Güte ihrer Mutter und die ehrliche, direkte Art ihres Vaters. Bisher hatte sie noch nie eine Nacht außerhalb ihrer Höhle verbracht, ohne vorher Bescheid zu sagen. Ihre Eltern waren bestimmt schon krank vor Sorge um sie. Sie musste zu ihnen zurück und Sinia von Taros Tod berichten.

Nach einer halben Stunde war Mira an einem Bach angelangt, der sich plätschernd durch das Tal schlängelte. Endlich konnte sie ihren Durst stillen! Seit gestern hatte sie nichts getrunken. Zudem brauchte sie dringend eine Ruhepause.
Sie hinkte zum Bachufer, beugte sich hinab und schöpfte mit beiden Händen gierig das klare Wasser in ihren Mund. Wie köstlich und erfrischend es schmeckte! Sie konnte gar nicht mehr aufhören zu trinken.
Plötzlich wurde sie zurück gerissen. Ein kräftiger Arm packte sie von hinten und schlang sich um ihren Oberkörper. So fest, dass sie fast keine Luft mehr bekam und sich nicht bewegen konnte. Sie wollte zu einem Schrei ansetzen, doch er blieb ihr im Halse stecken. Dicht neben ihrem Ohr hörte sie einen keuchenden Atem. Sie spürte einen Stich am rechten Oberarm. Aus den Augenwinkeln nahm sie einen runden, länglichen Gegenstand wahr, der aus ihrem Arm gezogen wurde.
Ein pelziger Geschmack breitete sich auf ihrer Zunge aus. Noch ehe sie einen klaren Gedanken fassen konnte, versank die Welt um sie herum in dichtem Nebel.


Ende der Leseprobe
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